Einleitung
Flexibilität ist ein zentraler Bestandteil eines ganzheitlichen Trainingsprogramms. Sie beeinflusst Bewegungsumfang, Leistungsfähigkeit und das Verletzungsrisiko. Doch wann, wie lange und mit welcher Methode sollte man dehnen, um das Optimum aus seinem Workout herauszuholen? Ein aktuelles Forschungsteam hat konkrete Empfehlungen erarbeitet, die wir in diesem Artikel praxisnah aufschlüsseln.
- Welche Dehnformen es gibt und wie sie physiologisch wirken
- Wie Sie Ihr Aufwärmen und Cool-down optimieren
- Welche typischen Fehler Sie unbedingt vermeiden sollten
- Wie ein erprobtes Dehnprogramm im Alltag aussieht
- Zusätzliche Tipps für nachhaltige Flexibilität
Tauchen Sie ein in die Welt des Dehnens – wissenschaftlich fundiert und praxiserprobt.
Grundlagen des Dehnens
Um Dehnübungen effektiv einzusetzen, ist ein solides Verständnis der physiologischen und methodischen Grundlagen essenziell.
Was ist Dehnen?
Dehnen bezeichnet das kontrollierte Verlängern von Muskeln, Sehnen und Faszien, um den Bewegungsumfang in einem oder mehreren Gelenken zu erhöhen. Es kann:
- adaptiv: langfristig den Muskeltonus senken und damit Beweglichkeit steigern
- reflektorisch: über Dehnungsreflexe kurzfristige Entspannung erzielen
Physiologische Grundlagen
- Muskelspindeln und Dehnungsreflex
- Muskelspindeln melden Dehnungen ans Rückenmark
- Ein schneller Dehnimpuls führt zum Gegenreflex (Muskelkontraktion)
- Golgi-Sehnenorgan
- Registriert hohe Zugspannung in Sehnen
- Löst bei Bedarf eine weitere Entspannung des Muskels aus
- Faszien
- Bindegewebsnetzwerk umhüllt Muskeln
- Regelmäßiges Dehnen kann die Gleitfähigkeit verbessern und myofasziale Verklebungen lösen

Abbildung: Muskelspindeln und Golgi-Sehnenorgan im Querschnitt
Arten des Dehnens

Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Dehnen
Ein multidisziplinäres Forschungsteam aus Sportwissenschaftlern und Physiotherapeuten hat aktuelle Studien ausgewertet und konkrete Empfehlungen formuliert.
Aktuelle Studienlage
- Meta-Analysen zeigen, dass statisches Dehnen vor dem Training die maximale Kraft um bis zu 5 % reduzieren kann (Quelle
Empfehlungen des Forschungsteams
- Vor dem Training
- Einsatz dynamischer Dehnübungen (5–10 Minuten)
- Fokus auf sportartspezifische Bewegungsmuster
- Nach dem Training
- Statisches Dehnen (2–3 Wiederholungen à 30 Sekunden pro Muskelgruppe)
- Ergänzung durch PNF, wenn Zeit und Partner verfügbar sind
- Häufigkeit
- Mindestens 3 x pro Woche für sichtbare Fortschritte
- Bei Ziel „Maximum Flexibilität“ täglich kurze Einheiten möglich

Abbildung: Dynamisches Dehnen, statisches Dehnen etc.
Praktische Umsetzung im Training
Die Theorie ist nur so gut wie ihre Übertragung in die Praxis. Im Folgenden finden Sie erprobte Abläufe für Aufwärmen, Cool-down und Fortgeschrittenentechniken.
Integration ins Aufwärmen
Dynamisches Dehnen bereitet den Körper optimal auf Belastung vor:
- Laufschule: Anfersen, Kniehebelauf, Seitgalopp
- Beinpendel: Vor- und Rückschwingen im Hüftgelenk
- Armkreisen: Kleine bis große Kreise für Schultern und obere Rückenmuskulatur
Bullet-Liste der wichtigsten Punkte:
- Beginnen mit niedriger Intensität
- Bewegungen kontrolliert, ohne Ruck
- Jede Übung 8–12 Wiederholungen pro Seite

Demonstration: Dynamisches Stretching vor dem Joggen
Integration in das Cool-down
Adäquates Cool-down durch statisches Dehnen:
- Hüftbeuger
- Wadenmuskulatur
- Oberschenkelrückseite
- Brust- und Schultermuskulatur
Empfohlener Ablauf:
- Position einnehmen, bis leichter Zug spürbar ist
- 30 Sekunden halten, dabei ruhig atmen
- 2–3 Wiederholungen mit 10–15 Sekunden Pause
Dehnprogramm für Fortgeschrittene (PNF)
PNF steigert die Flexibilität durch Kombination aus aktiver Anspannung und passivem Loslassen:
- Partnerpositionierung
- Isometrische Kontraktion (5–10 Sekunden)
- Aktives Nachgeben durch den Partner
- Ruhige Dehnung (15–30 Sekunden)
Dieses Protokoll kann für alle großen Muskelgruppen angewendet werden – ideal für Kraftsportler und Athleten mit hohem Flexibilitätsanspruch.
Häufige Fehler und wie man sie vermeidet
Selbst bei guter Planung schleichen sich oft kleine, aber wirkungsvolle Fehler ein.
- Ohne Warm-up dehnen
- Problem: Erhöhtes Verletzungsrisiko
- Lösung: Immer dynamisches Aufwärmen mit 5–10 Minuten leichter Aktivität
- Zu starkes Dehnen (Overstretching)
- Problem: Mikrotraumata in Muskelfasern
- Lösung: Spürbarer, aber kein intensiver Schmerz
- Falsche Technik
- Problem: Gelenkfehlstellungen, muskuläre Dysbalancen
- Lösung: Korrekte Ausrichtung prüfen, ggf. Trainer/Physio hinzuziehen
- Unregelmäßigkeit
- Problem: Keine nachhaltige Verbesserung
- Lösung: Trainingsplan mit festen Dehneinheiten

Illustration: Typische Fehler beim statischen Dehnen
Fallstudie: Erprobtes Dehnprogramm in der Praxis
Um die theoretischen Erkenntnisse zu verdeutlichen, betrachten wir das Beispiel einer ambitionierten Läuferin, „Anna“.
Ausgangslage
- 10-km-Bestzeit: 45 Min.
- Eingeschränkte Hüftbeuger-Flexibilität (Range of Motion: 100° statt 120°)
- Häufige Wadenkrämpfe nach Training
Dehnintervention (8 Wochen)
- Vor jeder Einheit: 5 Minuten dynamisches Dehnen (Beinpendel, Hocksprünge)
- Nach jeder Einheit: 3 Wiederholungen statisch à 30 Sekunden für Hüftbeuger, Waden, Oberschenkel
- Wöchentlich: 1 x PNF-Session mit Physiotherapeut
Ergebnis nach 8 Wochen:
- Hüftbeuger-ROM: 120° (+20°)
- 10-km-Bestzeit: 43 Min. (-2 Min.)
- Deutlich weniger Muskelkrämpfe

Grafik: Entwicklung von Hüftbeweglichkeit und Laufzeit
Zusätzliche Tipps für mehr Flexibilität
Atem- und Entspannungs-Techniken
- Tiefes Bauchatmen unterstützt die muskuläre Entspannung
- Progressive Muskelentspannung baut Restspannung ab
Selbstmassage und Faszienarbeit
- Schaumstoffrolle (Foam Roller) für IT-Band, Waden, Oberschenkel
- Triggerpunktbälle für Fuß- und Hüftbereich
Regeneration und Ernährung
- Proteinzufuhr fördert Muskelreparatur
- Hydration ist essenziell für Gewebefunktion

Anwendung: Selbstmassage mit einer Schaumstoffrolle
Fazit
Effektives Dehnen basiert auf einem gezielten Zusammenspiel aus Art, Intensität und Timing der Übungen. Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick:
- Dynamisches Dehnen vor dem Training steigert Leistung und bereitet optimal vor
- Statisches Dehnen und PNF nach dem Training fördern langfristige Flexibilität
- Regelmäßigkeit und korrekte Technik sind entscheidend
- Zusätzliche Methoden wie Faszienrollen und Atemübungen unterstützen den Erfolg
Integrieren Sie diese wissenschaftlich fundierten Empfehlungen in Ihren Trainingsalltag. So maximieren Sie nicht nur Ihren Bewegungsumfang, sondern legen den Grundstein für höhere Leistungsfähigkeit und nachhaltige Verletzungsprävention.
Weiterführende Ressourcen:
- ACSM Guidelines on Stretching